5th Word Deaf Swimming Chapionship 2019 in São Paulo, Brasilien
Lars Kochmann berichtet
Es sind Sommerferien und meine Freunde aus der TGI sind alle im wohlverdienten Urlaub. Die Saison war lang, fast 800 km und 224 Trainingseinheiten stecken in meinen Knochen, aber mein Blitzlicht-wecker klingelt mich dennoch um 6 Uhr morgens aus meinen Träumen. Dann kurz Handy checken, Hörgeräte rein, Musik an, was anziehen und frisch machen. Nun noch schnell den Rucksack packen und einen kurzen Blick auf das Foto der Schwimmhalle in São Paulo werfen, wo wenige Wochen später die WM stattfinden sollte. Jetzt aber schnell aufs Rad und ab in die Schwimmhalle. Fast dasselbe Spiel dann am Nachmittag wieder und abends halbtot ins Bett fallen, um am nächsten Morgen von vorn zu beginnen. Das war meine zusätzliche Vorbereitung auf die WM: in wenigen Wochen 250 km, mehrere Stunden Kraft- und Athletiktraining und etliche Kilometer auf dem Fahrrad und “nur” eine Woche Paddeltour mit dem Verein als Urlaub.
Am 20. August 2019 war es dann endlich soweit. Ich traf mich mit dem Bundestrainer Björn Koch, der Physiotherapeutin Sabine Steinmann und der Sportlerin Pauline Opitz auf dem Flughafen Frankfurt am Main und wir flogen gen Süden nach Brasilien. Dort angekommen, waren wir alle sehr müde und erschöpft von den zwölf Stunden Flug und hatten es nach einer schwierigen Buchung des Mietwagens dann auch ins Hotel geschafft. Die darauffolgenden Tage waren wir stets damit beschäftigt, im Becken zu trainieren und uns an die örtlichen Gegebenheiten zu gewöhnen. Anfangs war ich noch sehr skeptisch, ob der Wettkampf gut verlaufen würde, doch von Tag zu Tag wurde ich immer schneller und am 25.08. war dann die Eröffnungsfeier. Am Abend habe ich mich dann auf den Wettkampf eingestimmt und bin früh schlafen gegangen, um am nächsten Tag fit zu sein.
Nun war es endlich soweit: aufstehen, den Wettkampf-Rucksack packen, noch etwas Musik für die Motivation über eine Box laufen lassen und dann ab zum Frühstück. Am ersten Tag standen die 50 Meter Rücken auf dem Plan, die ich relativ überraschend als Vorlaufschnellster beendete. Nun galt es mich auszuschwimmen und zu erholen, gut zu essen und nochmal ein wenig zu schlafen. Am Nachmittag lief dann beim Einschwimmen alles super und kleinere Probleme aus den Vorläufen waren auch verschwunden, aber die Anspannung und Aufregung stieg mit jeder einzelnen Minute.
Nach dem Einschwimmen ging ich wie immer noch kurz warm duschen, danach normal anziehen und kurze Zeit später die Wettkampfhose anziehen und wieder zurück an meinen Platz, um meine Banane zu essen und noch kurz mit Björn zu sprechen, der zu mir sagte: “Es sind nur 50 Meter.” Nun war ich bereit und ging runter in den Callroom, wo bereits Collin, Juliusz und Yoshikazu, alles meine Konkurrenten, saßen. Ich setzte mich ebenfalls auf einen Stuhl und ging kurz in mich, setzte meine Schwimmbrille und Kappe auf und versuchte noch ein wenig runter zu kommen. Nach einigen Minuten wurden wir dann auf die nächsten Stühle für den Vorstart gerufen und kurz darauf auf die letzten und dann im letzten Korridor vor dem Ein-marsch.
Ich pushte mich mehrmals auf und während die anderen Sportler Stück für Stück einliefen, versuchte ich kurz meine Hand still zu halten, doch sie zitterte deutlich sichtbar, so wie jetzt noch, wenn ich daran zurück denke und ich wusste, dass ich bereit bin für diese 50 Meter.
Als ich mich dann auszog, bemerkte ich, dass die anderen Sportler bereits ins Wasser sprangen, doch ich versuchte, nicht in Panik zu verfallen, sondern dachte mir nur: fangt bloß nicht ohne mich an. Als ich dann relativ verspätet ins kühle Nass gesprungen war, war alle Aufregung verflogen und ich hing mich an den Startblock. Die gelbe Lampe leuchtete auf, das hieß auf die Plätze und dann: grün, das hieß ab ging die Post! Schnell bis 15 Meter tauchen und dann einen guten Übergang erwischen, jetzt schnell und kraftvoll mit den Armen ziehen. Da ist schon die 15 Meter Leine, das Wasser schwappte mir übers Gesicht, so dass ich nur aller paar Züge atmen konnte und da sah ich schon die fünf Meter Leine, also noch ein, zwei, drei Züge uuund Anschlag, geschafft! Nur welchen Platz hatte ich jetzt belegt? Beim Blick an die Anzeige suchte ich meine Bahn und was dort für eine Zeit stand. Es war eine 26,80 und daneben stand eine 1, was bedeutete, dass ich Weltmeister geworden war und zusätzlich noch der neue Europarekordhalter, sowie der Schnellste 50 Meter Rückenschwimmer, der je bei einer Gehörlosen-WM gestartet war. Ich hatte es tatsächlich geschafft und schrie meine Freude heraus, während ich mit der Hand aufs Wasser schlug. Alle, die mit mir im Finale geschwommen waren, gratulierten mir als ich meine Sachen holte, was ein wahnsinnig tolles Gefühl war. Dieses wurde noch besser, als ich zurück am Platz war und Björn und ich uns erstmal in die Arme fielen. Ich war seit zwölf Jahren der erste Deutsche hörgeschädigte Schwimmweltmeister.
Doch trotz der großen Freude war keine Zeit zum Feiern, da ich ja noch sechs weitere Starts vor mir hatte. Diese verliefen ebenfalls mehr als gut. Nach meinem freien Dienstag standen am Mittwoch die 100 Meter Rücken und Kraul auf dem Programm. In 100 Meter Rücken wurde ich erneut Weltmeister mit Europarekord und Veranstaltungsrekord in 57,85, was so anstrengend war, dass es im 100 Meter Freistil Finale zwölf Minuten später nur noch zum 7. Platz gereicht hat. In 50 Meter Schmetterling belegte ich in 26,52 Sekunden zeitgleich mit dem Ukrainer Viktor Konkin den 5. Platz. Das 50 Meter Freistil Finale am Freitag sagte ich zugunsten des 200 Meter Rücken Finales ab, in welchem ich in einem knappen Endspurt die Bronzemedaille in neuer Deutscher Rekordzeit von 2:09,52 min erkämpfte. Den Abschluss der WM bildete der 50 Meter Brustsprint, in dem ich trotz mangelndem Rhythmus mit 30,46 Sekunden Bronze erreichte und meinen eigenen Deutschen Rekord nochmals verbesserte.
Alles in allem war ich mehr als zufrieden mit meinen Ergebnissen und es war eine wahnsinnig schöne Erfahrung, die deutsche Hymne zu hören, aufgrund dessen, was man erreicht hat. Ich möchte mich bei meiner Familie bedanken, die mich sehr unterstützt und gefördert hat, meinen Freunden, die für mich da waren und sind und bei Frau Mehlis für das Training und die gute Vorbereitung, die sie mir gegeben hat. Ein großes Dankeschön geht auch an den Verein und die vielen Mitglieder, die mir mein intensives Training ermöglichen und mit mir mitgefiebert haben.
L. Kochmann